Erschienen am 31. Mai 2010
Die Zündschnur fürs Auge
Wie der Grafikdesigner Mirko Borsche das neue Erscheinungsbild der Staatsoper entwickelt
Selten genug passiert es, dass Grafikdesigner ins Licht der Öffentlichkeit geraten, außerhalb der Szene kennt man normalerweise nicht mal ihre Namen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass das, was sie gestalten, so flüchtig ist. Ständig werden Plakate wieder überklebt, grafische Erscheinungsbilder neu erfunden, Magazine und Broschüren weggeworfen. Und doch können sie entscheidend dazu beitragen, wie wir eine Institution, ein Unternehmen, womöglich eine ganze Stadt wahrnehmen – bewusst oder unbewusst. Insofern wird man dieses Jahr in München kaum um jemanden wie Mirko Borsche herumkommen, jedenfalls nicht um seine Entwürfe. Der 38-Jährige ist gerade dabei, für die Bayerische Staatsoper ein neues grafisches Erscheinungsbild zu entwickeln, der prominenteste Auftrag, den man als Grafikdesigner in München überhaupt bekommen kann. Und weil er dasselbe seit kurzem auch für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks macht, werden seine Plakate spätestens im August, vor der neuen Saison, regelmäßig unübersehbar über die ganze Stadt verteilt sein. „Dann erst wird unsere Arbeit wirklich sichtbar. Das wird für uns ein kritischer Moment“, sagt Borsche. Vielleicht auch der Moment, in dem die Stadt sich ein bisschen verändert.
Es hat eine Weile gedauert, bis sich in München herumgesprochen hat, dass einer der besten deutschen Gestalter sich hier selbständig gemacht hat. Als Borsche 2007 seinen Job als Art Director beim SZ-Magazin gekündigt hatte, kam er gemeinsam mit einem früheren Praktikanten in einem kaum 20 Quadratmeter großen Holzkiosk in der Bogenhausener Trogerstraße unter, ohne so genau zu wissen, wie es weitergeht. Die Anfrage der Wochenzeitung Die Zeit, das Blatt und sein Magazin gestalterisch zu überarbeiten, brachte ihn ins Geschäft; er entwarf, ebenfalls für Hamburger Kunden, die Erscheinungsbilder des Thalia Theater und der Philharmoniker Hamburg. Erst später, nach zwei Jahren, gab es die ersten Aufträge aus München. Da war Borsche längst in ein neues, 210 Quadratmeter großes Büro mit angeschlossenem Appartement in einem umgebauten Rückgebäude in der Au umgezogen: ein hoher zweigeschossiger Raum mit Galerie und riesigem Atelierfenster, zu dem seit kurzem auch noch weitere Räume eine Etage tiefer gehören. Neun Designer – alles Freelancer und Praktikanten – arbeiten hier inzwischen für das Bureau Mirko Borsche, wenn nötig bis zu 20. Und schon wieder muss Borsche überlegen, ob er nochmal erweitern soll – das Zwischengebäude zum Vorderhaus wird derzeit saniert. „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich eine große Firma gründen will“, sagt er.
Zu gut gefällt ihm die freie, flexible Arbeit mit unterschiedlichen Kunden und Medien, was er bisher gar nicht kannte. Anfangs, nach seinem Studium in London und Augsburg, hatte er Werbung gemacht, unter anderem bei Springer & Jacoby, bevor er 1999 zum Jetzt-Magazin kam und dort als Art Director, später bei Neon und beim SZ-Magazin bekannt wurde. Borsche war einer der ersten, der jenes klassisch-elegante Editorial Design entwickelte, das bis heute viele Magazine bestimmt. Damals habe er noch in viele fragende Gesichter geschaut, als er alle Schriften im Jetzt durch die Excelsior ersetzte, der Fließtextschrift der Süddeutschen Zeitung: „Serifenschriften galten einfach nicht als jung und modern.“ Das hat sich seither gründlich geändert, auch deshalb, weil Borsche gezeigt hat, wie man das Klassische mit jungen Fotografen und Illustratoren und spielerisch eingesetzten Brüchen in die Gegenwart holen kann. So ähnlich wie im neuen Spielzeitheft der Staatsoper, das einerseits ganz traditionell daherkommt, mit einer durchgehenden barocken Schrift (Scotch Modern) und der Goldfolie auf dem Umschlag, auf die eine Leinenstruktur gedruckt ist – das andererseits aber auch in Details irritiert. Zum Beispiel mit Kursivierungen, die deutlich schräger sind, als es alle typografischen Regeln erlauben. Borsche hat ein schönes graues Papier ausgewählt und das Buch teilweise japanisch binden lassen, sodass man einzelne perforierte Seiten aufreißen muss, um einen Blick auf die assoziativen Fotografien dazwischen werfen zu können. Man darf gespannt sein, wie später die Plakate aussehen werden. „Wir wollen mindestens so plakativ sein wie Pierre Mendell“, verspricht Borsche. Was nicht einfach wird, denn Mendell hatte 13 Jahre Zeit, um seine Bildideen so auf den Punkt zu bringen, dass viele Münchner noch heute seine illustrativen Plakate vermissen. Der Berliner Fons Hickmann, der 2006 auf Mendell folgte, versuchte es mit einer visuellen Sprache aus Piktogrammen und Markenzeichen, musste aber zwischendurch sein Konzept ändern.
Könnte gut sein, dass das Erscheinungsbild der Staatsoper in Zukunft deutlich experimenteller ausfallen wird, als man es bisher gewohnt war. Die Materialien, die über den temporären Pavillon 21 der Opernfestspiele bereits erschienen sind, und die Banner am Bauzaun deuten das bereits an: Borsche hat aus Skizzen, Linien, Pfeilen und Begriffen, die zum Teil senkrecht und auf dem Kopf stehen, ein visuelles Brainstorming gezeichnet, das den Entstehungsprozess des Pavillons, der einzelnen Veranstaltungen und auch seiner eigenen Arbeit beschreibt. Und die erste Broschüre mit ihren Fotocollagen, blau und türkis eingefärbter Typografie und der verzerrten, umlaufenden Schrift ist ganz auf der Höhe der Zeit. So wie alles andere, was Borsche momentan gestaltet: Plakate für die Clubnacht „Blast of Silence“, Visuals für das Plattenlabel Gomma, Ausstellungskataloge für Die Neue Sammlung, das Kunstmarktheft Weltkunst oder das neue, äußerst dekorative Stadtmagazin Super Paper, das aus der Clubszene hervorgeht und in seinem Zeitungsformat auch ein Statement gegen die Abwanderung der Printmedien ins Internet ist.
Das alles miteinander zu verquicken ist das jüngste, gerade angelaufene Projekt des Bureau Mirko Borsche: „The Fuze“ (Zündschnur) heißt die vierteilige Veranstaltungsreihe im Maximiliansforum, die Beteiligte aus den unterschiedlichsten Sphären zusammenbringen und, so Borsche, darstellen soll, „wie unser Arbeitsprozess funktioniert, wie Ideen entstehen“. Eine Installation aus Transportkisten und Fahnenmasten dient als Bühne und Projektionsfläche für ein sukzessive sich verselbständigendes Spektakel, denn an jedem Abend kommt eine neue Ebene dazu. Drei Ensembles des Symphonieorchesters werden hier gemeinsam mit Gomma spielen (am 10. Juni), Tänzer des Bayerischen Staatsballetts dazu in Kostümen des Modemachers Kostas Murkudis tanzen, und Borsche Gedichte auf großen Fahnen typografisch visualisieren. Was am letzten Abend herauskommt, wenn alle alles gleichzeitig aufführen, ist ungewiss.