Erschienen in form 219 (März/April 2008)


Tanz der Moleküle

Was hat Ludwig XV. mit dem chemischen Element Mangan zu tun? Auf den ersten Blick nichts. Die New Yorker Architekten Benjamin Aranda und Chris Lasch jedoch haben genauer nachgeforscht und daraus nicht nur eine Geschichte entwickelt, sondern gleich einen ganzen Stuhl, der die Struktur von Rokokomöbeln mit dem Kristallgitter von Manganitmolekülen verbindet.

Man kann sich darüber streiten, ob die Objekte, die zur Zeit auf Sammlermessen in London, Basel und Miami mehr wie Kunst ausgestellt denn wie Design präsentiert werden, überhaupt noch Design sind. Da hilft der vom Handel eingeführte Begriff „Design Art“ auch nicht viel weiter. Das Interessante an diesen limitierten Editionen ist jedenfalls, in welche Richtungen ihre Formen ausblühen. Da werden Kristalle oder wenigstens prismatische Muster zurechtgeschliffen, die einem blitzblank entgegenfunkeln, andere entwerfen so ausschweifende Tische und Sitzgelegenheiten, wie es sie zuletzt im Art Déco oder im Rokoko gegeben hat – und in beidem spiegelt sich eine Lust am Luxus, aber auch Bizarren wider. Auf den ersten Blick bringt der Fauteuil Chair von Aranda/Lasch, von dem auf der Design Miami im Dezember ein Prototyp zu sehen war, all das zusammen. Das aus kristallenen Aluminiumelementen zusammengesetzte Stück erinnert nicht ganz zufällig an einen Rokokosessel.

Tatsächlich haben sich die New Yorker Architekten Benjamin Aranda (34) und Chris Lasch (35) ausführlich mit Rokokomobiliar beschäftigt, mit dem sich etwa Ludwig XV. umgab. „Ludwig XV. etablierte einen Stil, der Luxus und Exzess ausdrückte“, sagt Chris Lasch. Doch was die beiden viel mehr daran interessiert, sind die formalen Strukturen: „Man kann ein Rokokomöbel auch als Struktur betrachten, die ähnlich komplex funktioniert wie die Geometrie eines Kristalls“, sagt Lasch. Dieser Zusammenhang ergibt die Geschichte des Fauteuil Chair. Aranda/Lasch fanden heraus, dass Ludwig XV. im selben Jahr, 1774, starb, in dem der schwedische Chemiker Johan Gottlieb Gahn das Element Mangan entdeckte. Eine scheinbar bedeutungslose Koinzidenz, die dennoch Ausgangspunkt für ihr Konzept war. Sie besorgten sich im Internet die frei zugängliche mathematische Beschreibung der Manganmoleküle, speisten die Daten in ihr CAD-Programm ein und berechneten anhand der Position der Atome eine Kristallform mit vier größeren Sechsecken und vier kleineren Dreiecken als Seitenflächen. Die bekannte periodische Gitterstruktur der Mangankristalle nutzten sie, um daraus mit Hilfe von Algorithmen einen ganzen Stuhl zu generieren, der aus 350 gleichen Elementen besteht.

Das Komplexe daran ist nicht das einzelne Element, sondern die Frage, wie diese Elemente miteinander verbunden werden können und wie sich aus dem abstrakten Kristallgitter ein konkreter Sessel ergibt. Aranda/Lasch stellten zunächst fest, dass sich die Elemente zu Ringen zusammensetzten: „Wir haben die Ringe dann kopiert, verschoben und über das ganze Gitter verteilt, um einen stabilen Körper zu bekommen.“ Schließlich entfernten sie – wie ein Bildhauer mit einem Meißel – am Monitor so viele Elemente, bis ein Stuhl zu sehen war.

Demnächst wird er von der kanadischen Gießerei Baker’s Moulds & Patterns in einer Auflage von zehn Exemplaren produziert. Die Kosten dafür übernimmt der New Yorker Galerist Paul Johnson. Vier Objekte haben Aranda/Lasch nun schon für ihn entworfen, darunter ein Sideboard, in das das Muster von Eiskristallen gefräst wurde. „Wie viel davon produziert wird und in welchem Kontext es verkauft wird, ist nicht so wichtig“, sagt Lasch. „Möbel zu entwickeln ist für uns eine Möglichkeit, unsere architektonischen Ideen umzusetzen, wenn auch in einem anderen Maßstab.“ Die Architekten arbeiten schon länger daran herauszufinden, wie sie aperiodische molekulare Muster, also solche, die sich unvorhersehbar wiederholen, mit der Idee der Modularität verbinden können. So sind sie auf Kristallformen und -geometrien gestoßen, die sich dafür besonders gut eignen. Mit ihrem bisher komplexesten Projekt, einer Grotte für den Hof des New Yorker P.S.1, kamen Aranda/Lasch 2005 zwar ins Finale des Wettbewerbs, verwirklicht wurde es aber nicht. Sie hatten vorgesehen, aus vier unterschiedlich geformten Polyedern eine aperiodische Struktur zusammenzusetzen, die einerseits modular ist, andererseits so unvorhersehbar, dass sie wohl fast natürlich erschienen wäre.

Verglichen damit ist der Fauteuil Chair aus einem deutlich einfacheren System entstanden. Dennoch macht er Eindruck – als Objekt und als Idee. Und selbst wenn die aus sehr vielen Formeln besteht, legt Lasch Wert darauf, nicht mit einem Wissenschaftler verwechselt zu werden: „Wissenschaftlern geht es darum, objektive Daten zu ermitteln. Wir arbeiten mit ähnlichen Mitteln, aber unser Ergebnis ist immer subjektiv. Es ist immer Design.“ Nur mit der Funktion ist es nicht weit her. „Man kann drauf sitzen“, sagt Lasch. Und: „Wir arbeiten daran, dass er noch komfortabler wird.“ Vielleicht reicht ja ein Sitzkissen aus.

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