Erschienen in form 220 (Mai/Juni 2008)


Grauzone Design Art

So umstritten der Begriff „Design Art“ ist – er hat sich nicht nur für den Handel mit limitierten Editionen durchgesetzt, auch die Design-Szene kommt um ihn nicht herum. Doch was bezeichnet „Design Art“ eigentlich? Und hat es wirklich etwas mit Kunst zu tun? Einige Gedanken zu einer fortdauernden Diskussion.

Man ist ja einiges gewohnt von Design-Events, aber was sich das britische Möbelunternehmen Established & Sons voriges Jahr beim London Design Festival erlaubte, das war wirklich auf Provokation ausgelegt. In den Katakomben der Westminster University standen die Besucher im Dunkeln, vor sich riesenhafte Sockel, auf denen in sechs Meter Höhe im gleißenden Licht von Scheinwerfern einzelne Möbelstücke erstrahlten. Es waren, wie man lesen konnte, Stücke aus der aktuellen Kollektion, von Jasper Morrison und Zaha Hadid, die nun als Unikate in Carrara-Marmor produziert worden waren. „Die Sehnsucht nach Objekten der so unglücklich bezeichneten ‚Design Art‘ hat den Siedepunkt erreicht“, hieß es in einer Pressemitteilung von Established & Sons. Und deshalb sei die Ausstellung dazu gedacht, eine dringend notwendige Debatte darüber anzustoßen: „Sollte das Design der Kunstwelt hinterherlaufen? Sind die Behauptungen, Design Art sei eine neue Bewegung, wirklich stichhaltig?“ Eine bemerkenswerte Einlassung für ein Unternehmen, das wie keines sonst vom neuen Markt der limitierten Editionen profitiert.

Established & Sons trieben hier die Wahrnehmung des Phänomens „Design Art“ auf die Spitze, indem sie die Möbelstücke stellvertretend auf eine Ebene hoben, die sonst der Kunst vorbehalten ist, jener Disziplin, die in der Hierarchie traditionell weit über ihrer viel jüngeren Schwester Design steht. Wie Kultgegenstände erschienen die Objekte da oben, und das war auch noch eine Anspielung auf den quasi-religiösen Status, der der Kunst in letzter Zeit immer wieder zugesprochen wird. War dieses Spektakel eine Kritik am System? Wohl eher eine affirmative, ironisch wirkende Maßlosigkeit mit den Mitteln des Systems – ohne das System selbst in Frage zu stellen, wie es die Kunst vielleicht tun würde. Und selbstverständlich gab es in London eine zweite Ebene, von der aus man die Stücke auch auf Augenhöhe sehen konnte.

Dennoch bleibt die Frage, ob sich der Status des Design in jüngster Zeit verändert hat. Erleben wir eine Um- oder Aufwertung des Design, eine Annäherung an die Kunst? Das zumindest impliziert der Begriff „Design Art“, wenn man ihn wörtlich nimmt: „Design-Kunst“ – und eben nicht „Kunst-Design“ – ist ein Kompositum, das von seinem zweiten Element determiniert wird. Demnach bezeichnet der Begriff so etwas wie eine „designerische Kunst“. Das aber wäre doch etwas anderes, als es das Auktionshaus Phillips de Pury im Auge hatte, das 2005 die neue Kategorie „Design Art“ für eine bestimmte Art von Design-Objekten einführte. Wie so oft stammt der Begriff nicht von den Künstlern und Designern selbst, sondern er wurde ihnen übergestülpt – in diesem Fall offensichtlich als Instrument einer Marketingstrategie, um den Boom des Kunstmarkts dazu zu nutzen, auch das Design besser zu verkaufen. Phillips de Pury hat den Begriff zwar nicht erfunden, aber so lanciert, dass ihn der Handel begeistert aufgriff; kein anderer Begriff hat in den vergangenen drei Jahren so sehr die Runde gemacht in der Design-Szene wie der der „Design Art“, und keiner ist so umstritten – weil oder auch obwohl er eng mit den tatsächlichen Verkaufserfolgen einer bestimmten Art von Design verbunden ist.

Was aber ist mit dem Begriff gemeint? Design Art bezieht sich auf Möbelentwürfe, bevorzugt Stühle und Tische, aber auch Leuchten und Vasen, von denen die Designer selbst, in den meisten Fällen aber Galerien und Auktionshäuser Prototypen, Unikate und limitierte Editionen zum Kauf anbieten; die Herstellungs- kosten übernehmen in der Regel die Galeristen. In Miami, Basel (Design Miami / Basel) und London (Design Art London, Form London) sind entsprechende Sammlermessen entstanden, die Zahl der Galerien in Los Angeles, New York, London und Paris wächst. Damit wäre vor allem der wirtschaftliche Zusammenhang beschrieben. Ob sich daraus auch Aussagen über die formalen Qualitäten, womöglich eine neue Ästhetik der Objekte ableiten lassen, ist allerdings fraglich. „Bei mir realisieren Designer ihre Träume“, behauptet jedenfalls der Pariser Galerist Didier Krzentowski.1 Die Bandbreite der Design Art reicht, nur zum Beispiel, von den aus Fundstücken von der Straße zusammengezimmerten Stühlen Martino Gampers bis zu den hochglänzenden, ausschweifenden, computergenerierten Tischen Zaha Hadids.

Es ist nicht sonderlich schwer, diese Möbel aus der Kategorie des Design auszuschließen. Erstens, weil sie der Idee und Definition des modernen Design widersprechen, wonach aus einem Entwurf erst dann Design wird, wenn er in die industrielle Serienproduktion geht. Zweitens, weil sie das ureigene Kriterium des Design, Probleme lösen zu wollen und das Leben zu verbessern, nicht erfüllen. Das heißt aber nicht, dass man solche Sammlerstücke nun ohne weiteres der Kunst zuschlagen könnte. Was ihnen abgeht, ist jene Autonomie, die jedes Kunstwerk unmissverständlich demonstriert. Sie kommen nicht aus ohne einen letzten Anschein ihrer Funktion, nicht ohne den Hinweis auf einen Typus – selbst wenn ihre Funktionalität nur ein Versprechen ist, das sie gar nicht einlösen können. Auf manchen Sitzobjekten Ron Arads kann man sich nicht lange halten. Doch die aus dem Design kommenden Protagonisten wie Arad arbeiten sich nach wie vor an den Typen Tisch, Stuhl, Sofa ab. Wer es, wie vor kurzem das „Zeit-Magazin“, auf die Formel bringt, Design sei heute „Kunst minus Bedeutung“,2 macht es sich zu einfach.

Wenn dieses paradoxe Phänomen Design Art weder Design noch Kunst ist, was dann? Es ist ein seltsam kategorieloses Zwischenreich, in dem sich diese Objekte bewegen, und vermutlich ist es das, was sie so begehrenswert macht. Auch die Kunst lebt ja schon seit Jahrzehnten davon, dass sie ständig versucht, ihre eigenen Grenzen zu überwinden. Und schließlich hält dieses Zwischenreich sowohl für den Gestalter als auch für den Sammler Vorteile bereit: Der Sammler freut sich darüber, dass er so ein Möbel gleich auf doppelte Weise rezipieren kann, als Anschauungs- und als Gebrauchsobjekt, das viel unmittelbarer und haptischer ist als zum Beispiel ein Gemälde. Und der Gestalter kann – völlig losgelöst von den Bedingungen der Möbelindustrie – Ideen verwirklichen, die sonst nicht marktfähig wären; ohne auf einen Auftraggeber, den Nutzer und die Produktionskosten Rücksicht nehmen zu müssen, kann er sich selbst verwirklichen, zumindest idealerweise.

Kein Wunder, dass selbst Konstantin Grcic, der einmal ein Verfechter des demokratischen Design gewesen ist, den Verlockungen des neuen Marktes nicht widerstehen kann. „Meine Idee von Design hat sich geändert. Als ich begann, hatte ich immer die Vorstellung, ich müsste ein Produkt für jedermann entwerfen“, sagt er. „Heute würde ich die Rolle des Design anders definieren.“ Design könne auch kreative Selbstentfaltung sein.3 Hatte Grcic früher immer darauf hingewiesen, wie wichtig das Gegenüber eines Auftraggebers für seinen Design-Prozess sei, so klagt er inzwischen darüber, wie wenig mit der Industrie möglich sei.4 Und nun entwirft auch er Editionsobjekte für die Galerie Kreo und Vitra. Eine beispielhafte Entwicklung, die viele Kollegen schon vor ihm genommen haben.

Dass sie einmal ganz zur Kunst überlaufen werden, ist eher unwahrscheinlich – und doch müssen sie sich immer öfter die Frage gefallen lassen, ob sie nicht doch eher Künstler sind. Kunst oder Design? Eine Grundfrage, die alle Beteiligten schon seit dem 19. Jahrhundert beschäftigt, als die freie und die angewandte Kunst sich voneinander lösten. Immer wieder setzte die Diskussion über das Verhältnis der beiden Disziplinen und ihre Wechselwirkungen von neuem ein, besonders intensiv geführt wurde sie im Verlauf des Werkbundstreits, am Bauhaus und an der HfG Ulm, zuletzt in den achtziger Jahren um Memphis und das Neue Deutsche Design. Als dann Ende der neunziger Jahre Künstler wie Tobias Rehberger, Jorge Pardo oder Andrea Zittel in die Rolle von Designern schlüpften und Objekte und Installationen entwarfen, die auf den ersten Blick aussahen, als wären sie Design, schienen die Grenzen erneut zu verschwimmen.5 Doch achteten sie sehr genau darauf, dass sie den künstlerischen Kontext nicht verließen.

Diesmal geht die Annäherung von der anderen Seite aus. Noch nie haben die Designer so viel Zeit darauf verwendet, sich künstlerische Strategien anzueignen. Sie arbeiten mit Verfremdungen, Kontextverschiebungen, Wahrnehmungstäuschungen, Aleatorik und anderen konzeptionellen Ideen. Es entstehen Assemblagen, Trompe l’œils, Ready-mades und Hybride. Kein Möbel, das nicht mit Mehrdeutigkeiten und einer Geschichte ausgestattet wird. Die Strategien sind bekannt, man kann sie in den einschlägigen Kunstwörterbüchern nachlesen. Kunst dient hier als Modell für das Design. Wäre man boshaft, könnte man sagen, einige Designer machen nur nach, was Künstler ihnen jahrzehntelang vorgemacht haben. Tatsächlich ist vieles von dem, was heute als Design Art gefeiert wird, schon mal dagewesen, auch im Design. Bereits Achille und Pier Giacomo Castiglioni haben das Prinzip des Readymades auf das Design übertragen, das Radical Design verwandelte Rasenstücke und Baseballhandschuhe in Möbel, und das Spiel mit Mustern und Mehrdeutigkeiten war auch schon eine Domäne von Memphis.

Was aber ist das Neue an der Design Art? Vielleicht, dass sie nicht mehr, wie die Moderne, auf das Existenzminimum abzielt, sondern auf das Existenzmaximum. Man muss nicht so weit gehen wie die britische Design-Kritikerin Alice Rawsthorn, die feststellte, das zeitgenössische Design sei das neue Paradigma des modernen Luxus.6 Doch makellos hochglanzpolierte Oberflächen, flamboyante Formen, funkelnde Kristallstrukturen und opulente Dimensionen lassen eine Ästhetik des Luxuriösen erahnen, die noch dominanter werden dürfte. Gut zu erkennen ist diese Tendenz an Ron Arads Rover Chair, der einmal eine Assemblage aus Fundstücken war und der jetzt für die Vitra Edition unter dem Titel „Moreover“ wiederaufgelegt wurde – in zwei Versionen aus Stahl, eine mit künstlich angesetztem Rost und eine andere, die so blitzblank verchromt ist, dass man sich drin spiegeln kann. Wenn es um Luxus geht, spielen Materialien und Hochtechnologien eine entscheidende Rolle. Möbel werden neuerdings wieder aus Marmor geschnitten, zum Beispiel ein Regal, das Jasper Morrison für die Galerie Kreo entwarf.

Da ist ein Phänomen nicht weit, das schon in der Kunst Befremden ausgelöst hat: Auf dem boomenden Kunstmarkt ist das Innovativste und Vieldeutigste an einem Gemälde oft der Preis, den es erzielt. Ohnehin stellt die Verwandlung von Nicht-Kunst in Kunst das wohl erfolgreichste Wertschöpfungsmodell der Moderne dar – so beschreibt es der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich.7 Ähnliches geschieht, wenn Design als Kunst auftritt und auf Sockeln präsentiert wird. Und genauso wie Künstler meinen, sie könnten mit übergroßen Formaten die Bedeutung und den Preis eines Kunstwerks steigern, tun es ihnen die Designer nach. Die Sensationen des Überdimensionalen dominieren Messen und Galerien.

Es könnte sein, dass der Auftritt der Design Art das Design weiter trennen wird – in das Design des Alltäglichen und das Design, das man womöglich nicht mehr als solches bezeichnen darf. Hoffentlich reißt die Verbindung vom einen zum anderen Ende der Skala nicht ganz ab, denn auf der einen Seite bietet sich Gelegenheit zum Experimentieren, und davon könnte auch die andere Seite profitieren. Während man sich noch darüber streiten kann, ob aus der modernen Utopie des demokratischen Design inzwischen Realität geworden ist, scheinen die Objekte der Design Art erst jetzt, 40 Jahre nach den ersten antifunktionalistischen Manifesten, die letzten Fesseln der Moderne abzustreifen. Noch in den achtziger Jahren war unsere Auffassung von Design völlig veraltet, erinnert sich der Niederländer Marcel Wanders: „Konzeptionell und visuell gründete sie auf einer Design-Theorie und einem Stil, der für die ersten Jahre der industriellen Revolution und die Babytage des Design entwickelt worden war. (...) Leider wurde daraus ein stilistisches Dogma, das noch heute das Design beherrscht. Die Industrie wäre inzwischen imstande, fantastische Produkte hervorzubringen, aber wir folgen noch immer diesem traditionellen Dogma, ohne das Potential der Industrie zu nutzen. Wir spüren immer noch den Drang, die Dinge einfach, ökonomisch, funktional zu machen anstatt inspirierend und fulminant.“8

Wenn es also solche Defizite gibt, was ist zu tun? Wanders, ein Protagonist der Design Art, ist überzeugt: „Wir haben es selbst in der Hand, Magier zu sein, Spaßvögel und Alchemisten, um Hoffnung zu schöpfen, wo es nur Illusionen gibt, um Realität zu schaffen, wo es nur Träume gibt!“9 Womöglich ist der Nachholbedarf in Deutschland, wo die Debatte um die Design Art noch gar nicht richtig angekommen ist, besonders groß. Doch in der Heimstatt des Funktionalismus, so viel ist sicher, wird man die Moderne so schnell nicht verabschieden.

1 Architectural Digest, Februar 2007, S.135
2 Diez, Georg, Ich habe einen Raum, in: Zeit-Magazin Leben 44 / 07, 1.11.2007, S. 53
3 http://www.proventus.se/pdf/annual_reports/AR_2006_talkdesign.pdf, S. 9
4 Vgl. Compton, Nick, But is it Art?, in: Wallpaper, September 2006, S. 66
5 Vgl. Tietenberg, Annette, The Art of Design, in: form 170, November / Dezember 1999, S. 64-73
6 Vgl. Rawsthorn, Alice, On eve of Milan fair, much to celebrate, in: International HeraldTribune, 13.April 2007
7 Vgl. Ullrich, Wolfgang, Gesucht: Kunst!, Phantombild eines Jokers, Berlin 2007, S. 273
8 Wanders, Marcel,The Contemporary Renaissance of Humanism, in: Fairs, Marcus,Twenty-First
Century Design, London 2006, S. 6f.
9 Ebd.

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